Eine postkoloniale Ohrfeige

Wie das ehemals SPD- und heute Bündnis90/Die Grünen-geführte Außenministerium echten Austausch mit Kamerun verhindert

Nach einem Bericht im Deutschlandfunk vom 11.01.2022

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Ein Forschungsteam aus Kamerun wollte zu einer Konferenz nach München fliegen, Tickets und Hotelzimmer waren schon gebucht. Doch von der deutschen Botschaft gab es kein Visum, die Gruppe konnte nicht kommen. Die Gründe muten fadenscheinig an.

Es ist ein massives Stück braunes Holz, gut einen Meter hoch, auf beiden Seiten sind grobe Figuren eingeschnitzt – und es gibt bis heute Rätsel auf. Der sogenannte Blaue-Reiter-Pfosten, den Franz Marc und Wassily Kandinsky 1912 in ihrem Almanach verewigten.

„Der Kreis, die Figur, die schwarz und weiß bemalt ist, dann diese Krokodile oder auf der Rückseite dieses pflanzenartige Motiv. Was die genau bedeutet haben, das weiß man leider bis heute nicht“, sagt Karin Guggeis. Die Ethnologin am Münchner Museum Fünf Kontinente steht vor der Plastik, an der sie bis heute herumrätselt. Auch wo das Kunstwerk herstammt, kann sie nicht genau sagen.

Aus Kamerun nach Bayern

Der bayerische Offizier Max von Stetten schickte dieses Objekt einst aus Kamerun in sein Heimatland und übergab es der damaligen bayerischen königlichen Sammlung, bis heute ist es im Besitz des Freistaates Bayern.Aus Kamerun, der damaligen deutschen Kolonie, folgten weitere 200 Objekte, vor allem Waffen, Pfeile, aber auch Masken und kunstvoll geschnitzte Löffel. Wie kamen diese Objekte in den Besitz Max von Stettens, von dem man weiß, dass er Strafexpeditionen unternahm?

Eine Strafexpedition hat bedeutet, dass man den Ort zerstört hat, aber auch, dass man sehr viele Menschen getötet hat: Männer, aber auch Frauen, Kinder. Es steht in diesen Berichten, wie diese Orte angezündet wurden. Es ist aus heutiger Perspektive sehr erschreckend.

Ethnologin Karin GuggeisUm die Sammlung Max von Stettens zu erforschen, fördern das Zentrum Kulturgutverluste und der Freistaat Bayern seit 2019 ein Forschungsprojekt. Karin Guggeis tat sich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Kamerun zusammen.

Heilige Objekte gegen böse Geister

Denn die haben durchaus Erkenntnisse, etwa zur Bedeutung des Blaue-Reiter-Pfostens. Zum Beispiel der kamerunische Projektleiter, Albert Gouaffo, Germanist an der Universität Dschang:„Die Deutschen nannten diese Pfeiler Fetisch. Sie waren heilige Objekte und standen in Bethäusern und in Privathäusern, um die Gemeinschaft gegen böse Geister zu schützen, die den Frieden stören konnten.“Für Albert Gouaffo ist die Kooperation eine Sache der Gerechtigkeit. Objekte aus Kamerun sollten von Menschen aus Kamerun erforscht werden. Auch Karin Guggeis ist dieser Meinung. „Geleitet hat mich da ein Sprichwort, das ich aus Ghana und Nigeria kenne: Until the lion tells the story, the hunter always will be the hero. Solange man immer nur die eine Seite der Geschichte hat, wird der Jäger der Gewinner sein – und nicht der Löwe“, sagt sie.

Raubgut oder nicht?

Um im Bild zu bleiben: Zwischen Jäger und Löwe gibt es viel zu diskutieren, zum Beispiel fordert Albert Gouaffo, dass der Blaue-Reiter-Pfosten in ein kamerunisches Museum zurückkehren sollte, während Karin Guggeis überzeugt ist: Den Pfosten habe von Stetten von einer frühen Expedition mitgebracht, die friedlich verlief – er sei also kein Raubgut.Doch zu einer Begegnung auf Augenhöhe kommt es nun nicht mehr. Eigentlich hätte es in dieser Woche einen Abschlussworkshop geben sollen mit den kamerunischen Kollegen, in Präsenz, in München – in Anwesenheit der Objekte. Tickets und Hotelzimmer waren gebucht.Die deutsche Botschaft aber verweigerte Anfang Januar drei Wissenschaftlern das Schengenvisum. Darunter die junge Wissenschaftlerin Yrine Matchinda. Der Ablehnungsbescheid liegt der Redaktion vor.

„Begründete Zweifel an der Rückkehrabsicht“

Darin heißt es: „Es bestehen begründete Zweifel an Ihrer Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten auszureisen. Hierbei berücksichtigt die Botschaft:

  • Die familiäre Bindung an Kamerun (…)
  • Die wirtschaftliche Bindung (…)
  • Die ordnungsgemäße Nutzung von Schengen-Visa in der Vergangenheit
  • Veränderungen in der persönlichen Lebenssituation seit Erteilung des letzten Schengen-Visums“

Die deutsche Botschaft befürchtete offenbar, die junge Wissenschaftlerin könnte nach dem Workshop in München nicht mehr nach Kamerun zurückwollen. Das Argument verwundert Karin Guggeis: „Frau Matchinda war bereits zu Projektbeginn hier und ist dann auch wieder zurückgereist, wie es vorgesehen war“, sagt sie.Der über 60 Jahre alte Universitätsdekan Joseph Ebune soll schon auf der Botschaft seine Ablehnung erhalten haben, wegen einer nicht beigebrachten Geburtsurkunde, so hört man aus dem Forscherteam.

Kein Kommentar vom Auswärtigen Amt

Man habe ihm dort geraten, sein Visa-Gesuch gleich zurückzuziehen, um einen negativen Vermerk für spätere Anträge zu vermeiden. Auch eine weitere Kollegin kam nicht weiter als bis zu dem Botschaftstermin. Deutschlandfunk Kultur fragte beim Auswärtigen Amt nach. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes will man sich dort nicht zu den einzelnen Fällen äußern.Karin Guggeis muss nun den Abschluss ihres Projektes als Videokonferenz abhalten. „Das ist für uns natürlich sehr erschütternd und ein großer Schlag“, sagt sie.

Und wie sieht es das Team in Kamerun? Albert Gouaffo:

Das nenne ich institutionellen Rassismus. Es gibt kein anderes Wort, um das zu erklären, weil die Menschen kein Straßendreck sind. Man stelle sich das mal vor, bei einem Deutschen in der chinesischen Botschaft. So etwas ist unmöglich.

Auch weltwärtsfinanzierte Organisationen wie das Diakonische Werk Baden oder andere Freiwilligendienste kämpfen seit Jahren mit äußerst restriktiven Orders an die Deutsche Botschaft in Yaoundé im Bezug auf Visa für junge Volunteers aus Kamerun. Man stelle sich das einmal vor: „Weltwärts“ ist das von der deutschen Bundesregierung finanzierte Programm des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit, das den interkulturellen Austausch und globales Lernen der jungen Generation zwischen 18 und 25 befördern soll. Gleichzeitig bekämpft das Auswärtige Amt, das als Leitungsinstanz für alle Entscheidungen der Visastellen weltweit zuständig ist, die Vergabe von Visa an junge Menschen zwischen 18 und 25 aus Kamerun mit allen Mitteln. Und dies, obwohl die Hürden für eine Antragsstellung eh schon hoch sind, ohne B1-Zertifikat braucht sich die junge Kamerunerin erst gar nicht für ein Visum zu bewerben. Diese Praxis wirft den gleichberechtigten Austausch von jungen, lernenden Menschen in Deutschland um Jahrzehnte zurück. Noch immer ist das Verhältnis von jungen Menschen aus Deutschland, die in Kamerun ein Einsatzjahr machen, und jungen Kamerunerinnen und Kamerunern, die dasselbe in Deutschland tun, etwa 10:1. Seit Beginn der anglophonen Krise im Jahr 2016 wurde nur eine handvoll Visa in Partnerschaftsbezügen oder Volunteer-Service für den Aufenthalt in Deutschland erteilt. Auf Nachfrage verweigern sowohl die deutsche Botschaft in Yaoundé als auch das Auswärtige Amt in Berlin jede Auskunft. Fakt bleibt: wir Deutschen reisen gerne und jederzeit um die Welt, aber wir lassen die Welt nicht nach Deutschland. Interkulturelles Lernen, echter Austausch und nachhaltiger Dialog werden so unmöglich gemacht. Man bleibt fassungslos zurück mit der Frage: wie ist so etwas möglich im 21. Jahrhundert?