Was ich im deutschen Diskurs zum kolonialen Erbe definitiv vermisse, sind die Stimmen und Perspektiven von Afrikanern oder sogenannten „Opfern des Kolonialismus“.
Wie setzen Sie den Aspekt der Partnerschaftlichkeit um?
Wir arbeiten an einem gemeinschaftlichen Konzept auf Augenhöhe mit den afrikanischen Partnern. Deshalb vermeiden wir eine komplette Festlegung des Konzepts vor der ersten Begegnung mit ihnen. Jörg Lüer und ich möchten zunächst virtuelle Kontakte starten und später Partner in Kamerun besuchen. Bei diesem Treffen sollen unsere Erwartungen aneinander angesprochen und überlegt werden, was wir erreichen wollen. Das Modell unserer Partnerschaft soll gemeinsam entstehen.
Inwieweit wirken Ihre Erfahrungen aus Kamerun und Deutschland unterstützend?
In der aktuellen Phase des Aufbaus von Netzwerken mit kamerunischen Organisationen, hilft es, dass ich die Strukturen im Land kenne, die interessant sein könnten. Außerdem fließen die Erfahrungen, die ich bei der Arbeit mit kirchlichen Organisationen in Kamerun zu Menschenrechtsfragen gemacht habe, in die aktuelle Arbeit ein.
Wie erleben Sie den deutschen Diskurs zum Umgang mit dem kolonialen Erbe?
Mich begeistert, dass kirchliche Institutionen, die ich besuchte, am Umgang mit dem kolonialen Erbe sehr interessiert sind. Und ich beobachte die aktiven Diskurse auf Regierungsebene und innerhalb der großen afrikanischen Community in Berlin. Doch ich erwarte mehr. Ich habe den Eindruck, dass es zwischen den Prioritäten der Opfer des Kolonialismus und denen der deutschen Meinungsführer Divergenzen gibt. Ein Beispiel: Es kann keinen wahrhaftigen Umgang mit dem kolonialen Erbe geben, ohne eine formale Entschuldigung der deutschen Regierung. Ebenso ist es nötig, den unterschwelligen Neokolonialismus zu erkennen und zu überwinden, der die globalen politischen Strukturen und die Beziehungen zwischen deutschen und lokalen afrikanischen Organisationen beherrscht. Aus meiner Sicht liegen die Diskursschwerpunkte in Deutschland auf Critical Whiteness, auf Rassismus, der Frage nach Wiedergutmachung und der Rückgabe von Machtgegenständen. Was ich definitiv vermisse, sind die Stimmen und Perspektiven von Afrikanern oder sogenannten „Opfern des Kolonialismus“. Die Auswirkungen der Dekolonisierungsarbeit auf die afrikanischen Länder sollten stärker hervorgehoben werden. Das ließe sich ändern, wenn mehr Afrikaner auf Konferenzen zum Thema Kolonialismus sagen könnten, was für sie wichtig im Umgang mit dem kolonialen Erbe ist. Es geht nicht um Gewissenberuhigung. Das Thema sollte als ein Gerechtigkeit schaffendes Projekt vorangetrieben werden, weil Gerechtigkeit dringend nötig ist.
Das ganze Interview von Ursula Radermacher mit Valérie Viban lesen Sie hier