Roderich Kiesewetter (MdB) nimmt Stellung zur anglophonen Krise in Kamerun

Heidenheim. Dem schaurigen Regenwetter zum Trotz versammelte sich ein ansehnliches Grüppchen aus Kamerun-Partnerschaft und Weltladen-Freunden am Samstag (28.08.) Abend im Nebenraum einer Heidenheimer Pizzeria. Der Soziologe und Politologe Dr. Joy Alemazung und Partnerschaftskoordinator BMDZ Johannes Stahl hatten gemeinsam mit der Kamerun-Partnerschaft des Kirchenbezirks Heidenheim zu einem Gespräch mit MdB Kiesewetter eingeladen.  Pfarrer Rolf Bareis (Vorsitzender der Kamerun-Partnerschaft Heidenheim) eröffnete die Gesprächsrunde mit einem persönlichen Statement seiner Betroffenheit angesichts des fortdauernden Bürgerkrieges im Land der Partner. Generell solle sich die Politik deutlicher zu Korruption und zu bürgerkriegs-ähnlichen Zuständen äußern. Durch ihr Schweigen ermutige die Bundesregierung die Täter zu immer weiteren Grausamkeiten.
Seit 30 Jahren sind die Heidenheimer mit der Presbytery Bali im Nordwesten Kameruns verbunden, am vergangen Sonntag wurde dort durch Schüsse zur Gottesdienstzeit ein Gemeindeglied getötet und der amtierende Pfarrer und Dekan des Kirchenbezirks, Rev Simon schwer verletzt.

Als Partnerschaftskoordinator der 12 Direktpartnerschaften mit Kirchenbezirken und Landes-verbänden der Presbyterianischen Kirche in Kamerun (PCC) nannte Pfr. Stahl Kennzahlen zur sogenannten Anglophone Krise: Die Vereinten Nationen berichten von mindestens 3.000 Toten, fast 700.000 Binnenvertriebenen sowie über 58.000 Flüchtlingen, die aus der Region ins benachbarte Nigeria geflüchtet sind. Interne Quellen zählen mehr als 20.000 Tote.  Mehr als 700.000 Kinder in den umkämpften Regionen, das sind praktisch 9 von 10 Kindern, sind seit Beginn der Krise nicht mehr in der Schule gewesen. 80% der Schulen sind geschlossen. Geschätzt 266.000 Kinder benötigen Unterstützung. In der Liste der „most neglected displacement crises“ vom Norwegian Refugee Council steht der Konflikt in den anglophonen Provinzen seit Jahren auf Platz eins. Die bisherigen Versuche eines friedlichen Dialogs seien allesamt gescheitert. Ende 2020 trafen sich mehr als 25 Religionsführer aus allen Teilen Kameruns in Buea zu einem Workshop zur Frage der friedensstiftenden Rolle von Religionsführern in der kamerunischen Krise. Der Weltrat der Kirchen, Reformierter Weltbund und verschiedene Missionswerke hatten diese Tagung maßgeblich vorbereitet.  Missio und Brot für die Welt in Verbindung mit den Direktpartnerschaften bitten die Bundesregierung um konkrete Schritte:

1) Druck auf beide Kriegsparteien auszuüben, einen sofortigen (auch einseitigen) Waffenstillstand zu akzeptieren;

2) der kamerunischen Regierung anzubieten, eine vermittelnde Rolle in dem Konflikt zu spielen und sie beim Dialog zur Lösung der Krise zu unterstützen;

3) der Dialog mit der kamerunischen Regierung im Rahmen eines Besuchs durch eine hochrangige deutsche Delegation in Yaoundé zu intensivieren;

4) eine unabhängige Untersuchung von Menschenrechtsverbrechen wie bspw. UN- und AU-Ermittlungen zu Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen, der Besuch der Gefängnisse durch MR-Organisationen zu fordern

5) auf Europäischer Ebene personalisierte Sanktionen in den Blick zu nehmen für diejenigen Personen, die auf beiden Seiten nachweislich für die Verschärfung des Konflikts verantwortlich sind. Dies könnte auch Richter*innen betreffen, die willkürlich Leute verurteilen und somit die Lage verschärfen.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums der Nachrichtendienste MdB Kiesewetter beleuchtete facettenreich und differenziert die internationalen Verpflichtungen und Bemühungen der Bundesregierung in Afrika. Gleichwohl sah Herr Kiesewetter im Blick auf Mali und Afghanistan keine Möglichkeit zu einer sinnhaften militärischen Präsenz, vielmehr befürworte er eine internationale Präsenz in Form von „Weißhüten“ (als Beobachter und Berichterstatter). Die Verantwortung dafür sieht er bei der Europäischen und Afrikanischen Union.

Der Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss appellierte, die Eigenverantwortung der afrikanischen Staaten zu stärken, die letzte Freigabe von deutschen Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit mit Kamerun sei 2019 erfolgt. Die Bundeskanzlerin sei aus verschiedenen Gründen nie nach Kamerun gereist, u.a. um den seit 1982 amtierenden und als korrupt geltenden Präsidenten Paul Biya „nicht aufzuwerten“. Internationale Finanzströme sieht Kiesewetter als ein mögliches Druckmittel von deutscher Seite.  Dazu zählen auch Maßnahmen wie die Privatvermögen von Akteuren einzufrieren und Zugang zu Immobilien im Ausland zu unterbinden.

Als Mitglied der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung sieht Kiesewetter keine Möglichkeit, auf Frankreich Einfluss zu nehmen, um die Bevölkerung Kameruns vor maßloser Gewalt zu schützen. „Nach dem Austritt von Großbritannien aus der EU hat Deutschland die Verpflichtung, Frankreich innerhalb der EU beizustehen und wird keine Kritik an Frankreichs Haltung zu Kamerun äußern.“ Er befürchte negative wirtschaftliche und politische Auswirkungen, wenn von deutscher Seite kritisiert werde, wie Frankreich sich schamlos an den Ressourcen anderer Länder namentlich Kameruns bedient und korrupte Systeme auf dem afrikanischen Kontinent unterstützt.

Kiesewetter bot an, bei konkreten Schwierigkeiten mit der Visaerteilung Hilfestellung zu geben z.B. an kamerunische Mitglieder von Partnerschaftsdelegationen. „Wenden Sie sich mit einem konkreten Fall an mich, der Anruf eines MdB im Auswärtigen Amt kann etwas bewirken.“ Langfristig plädierte Kiesewetter für ein „Patenschaftsmodell“, was in der EU bzgl. Afrika angedacht sei. Die Idee ist, dass in der EU jedes Mitgliedsland eine Art Patenschaft für ein Land der Afrikanischen Union übernimmt, um die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu bündeln und gezielt voran zu bringen.

                                                                                                                                                    Johannes Stahl, BMDZ