Tagesschau ARD: Der Kampf um Ambazonia

In den deutschen Nachrichten taucht die unmenschliche Gewalt und der Krieg in Kameruns Westen selten auf. Aber wenn die ARD berichtet, dann gründlich und gut recherchiert. Danke Sabine Krebs!

International wenig beachtet tobt im Westen Kameruns ein Konflikt um die Rechte der anglophonen Minderheit. Geführt wird er von beiden Seiten mit großer Brutalität, und inzwischen kämpfen die Aufständischen für einen eigenen Staat. Von Sabine Krebs, ARD-Studio Nairobi

Es ist ein Bürgerkrieg, der seit mehr als vier Jahren tobt und der doch kaum von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen wird. Im Westen Kameruns stehen sich Separatisten und Sicherheitskräfte der Regierung in einem Konflikt gegenüber, der seine Wurzeln in seiner kolonialen Geschichte und in der Zweisprachigkeit des Landes hat. Unabhängige Organisationen berichten von schweren Menschenrechtsverletzungen, laut Vereinten Nationen sind 700.000 Menschen inzwischen auf der Flucht. Und die medizinische Versorgung in dem Konfliktgebiet ist stark eingeschränkt.

Späte Folgen der Kolonialzeit

Die Ursachen für die Auseinandersetzungen reichen weit zurück, der Grundstein dafür wurde vor gut 100 Jahren gelegt. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die vormalige deutsche Kolonie Kamerun zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt: Vier Fünftel des Territoriums wurden danach von Frankreich verwaltet, der westliche Teil von Großbritannien.

Nach der Unabhängigkeit in den 1960er-Jahren gelten im Land zwei Amtssprachen, es gibt zwei Bildungssysteme und zwei Rechtssysteme. Doch die Minderheit im anglophonen Teil Kameruns – in den Regionen Nordwest und Südwest – fühlt sich zunehmend unterdrückt und benachteiligt. So werden politische und administrative Ämter oft nur für Französischsprachige ausgeschrieben. Unterricht und Prüfungen an Universitäten sind häufig ausschließlich auf Französisch. Viele englischsprachige Kameruner und Kamerunerinnen, die ein Sechstel der Gesamtbevölkerung stellen, fordern daher mehr Anerkennung.

Paul Biya gibt im Oktober 2018 seine Stimme bei der Präsidentschaftswahl Kameruns ab | picture alliance/dpa

Der 88-jährige Paul Biya regiert Kamerun seit 1982 – die Opposition wirft ihm vor, sich nur mit Wahlmanipulation an der Macht zu halten. Bild: picture alliance/dpa

Aufbegehren und Abspaltungstendenzen

Anfang 2016 flammen Proteste gegen die mehrheitlich französischsprachige Regierung erneut auf. Der Staat reagierte mit harter Hand, es beginnt mit einer monatelangen Internetblockade. Später folgen willkürliche Verhaftungen, massive Militäreinsätze – es gibt Tote. Als Reaktion entstehen Separatistengruppen, deren Ziel die Abspaltung vom Zentralstaat und die Gründung eines eigenen Staates ist: Ambazonia.

Der Konflikt wird immer brutaler. Junge Männer, sogenannte Amba-Boys, kämpfen gegen die Armee. Die wiederum startet Militäroperationen, vermutet unter der Zivilbevölkerung Unterstützer der Separatisten. So werden ganze Dörfer niedergebrannt, Menschen ermordet, eingeschüchtert, entführt.

Und auch Schulen werden angegriffen, mehrere Kinder werden getötet oder verletzt. Schul-Schließungen werden erzwungen – oft lässt sich nicht nachvollziehen, wer am Ende wirklich dafür verantwortlich ist. Wegen der anhaltenden Gewalt können Schätzungen zufolge mehr als 700.000 Kinder nicht in die Schule gehen.

Protest gegen den Besuch von Kameruns Präsident Biya der UN-Vertretung in der Schweiz | EPA

Wenn Biya ins Ausland reist, trifft er auf Proteste – wie hier beim Besuch der UN-Vertretung in der Schweiz im Juli 2021. Bild: EPA

Kaum Chancen für eine politische Lösung

Paul Melly vom Think Tank „Chatham House“ spricht von einer „blockierten Situation“. Friedliche Proteste für Bürgerrechte und sprachliche Rechte seien in Gewalt gemündet. Es habe in den vergangenen Jahren immer wieder glaubwürdige Berichte von Nichtregierungsorganisationen darüber gegeben, dass sowohl die staatlichen Sicherheitskräfte als auch die Separatisten schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Und so, befürchtet Melly, „ist es schwer, jeden politischen Prozess voranzubringen“.

Wie verheerend das Ausmaß an Zerstörungen durch den Konflikt in der Region ist, verdeutlicht auch ein aktueller Bericht von Amnesty International. Zeugenaussagen und Satellitenbilder belegen demnach, dass Menschenrechtsverletzungen aller Konfliktparteien mittlerweile zum Alltag gehören. Betroffen ist vor allem die Zivilbevölkerung.

Die Pandemie verschlimmert die Lage

Der Konflikt wirkt sich auch auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung in der Region aus. Ein Großteil der Gesundheitseinrichtungen wurde zerstört oder geschlossen. Dadurch ist die betroffene Bevölkerung besonders anfällig für Covid-19. Kamerun gehört zu den am stärksten von der Pandemie betroffenen Ländern in Afrika.

Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Nachdem Kameruns Behörden zuletzt die Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“ in der Region untersagt hatten, reagierte die Hilfsorganisation und zieht nun ihr Personal ab. Vorwürfe der Regierung, lokale bewaffnete Gruppen zu unterstützen, hatte „Ärzte ohne Grenzen“ immer konsequent und kategorisch zurückgewiesen.

Laura Martinelli von „Ärzte ohne Grenzen“ berichtet, die Regierung Kameruns habe die Organisation vor acht Monaten „quasi suspendiert“. Seitdem habe es Gespräche über die Aufhebung der Sperre gegeben, die aber ohne Ergebnis geblieben seien. „Wir können nicht in einer Region bleiben, wo es uns nicht erlaubt ist, zu arbeiten und wo es uns nicht erlaubt ist, die Bevölkerung zu behandeln. Wir mussten diese Entscheidung jetzt so treffen, wir hatten einfach keine andere Wahl.“

Unabhängigkeit – ein Chiffre für mehr Rechte

Das macht die Lage der Zivilbevölkerung noch verzweifelter, doch die Separatisten bleiben bei ihrem Ziel, einen eigenen Staat zu gründen. Wäre der überhaupt überlebensfähig? Das, sagt Paul Melly von „Chatham House“, sei am Ende gar nicht die entscheidende Frage, zumal es in Afrika einige Mikroländer gebe, die überlebten. Entscheidender seien die Rechte des Einzelnen in der Region – und die schrecklichen Menschenrechtsverletzungen, die beide Seiten begangen hätten.

Ein Ausweg oder Kompromiss scheint nicht in Sicht. Den Preis für einen Konflikt mit weit zurückreichenden Wurzeln zahlt einmal mehr die Zivilbevölkerung.