Antwort von Kanzleramtsminister Prof. Dr. Helge Braun 06.07.2018:
Antwort Dr Helge Braun Berlin Menschenrechtssituation Kamerun 07-2018
Leider gleichlautend mit dem Schreiben von Prof. Dr. Helge Braun vom 8. Juni 2018:
Antwort Dr Helge Braun Berlin Menschenrechtssituation Kamerun 06-2018
Aussagekräftiger ist das Antwortschreiben aus dem Auswärtigen Amt auf eine Anfrage aus dem Kirchenkreis Witzenhausen:
Antwort Auswärtiges Amt Michael Grimm 1607-2018
ich danke Ihnen für Ihre Mail zur Lage in Kamerun. Ich wurde gebeten Ihnen baldmöglichst zu antworten.
Die Bundesregierung beobachtet die kritische Entwicklung der Lage in den anglophonen Regionen Kameruns von Beginn an.
Seit Oktober 2016 gibt es in den beiden anglophonen Regionen Kameruns (South-West und North-West) eine Protestbewegung gegen die Zentralregierung in Jaunde, in deren Verlauf es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften mit Toten und Verletzten gekommen ist. Auslöser waren Demonstrationen und Streiks von Juristen, Schülern und Studenten für eine stärkere Berücksichtigung der traditionellen Eigenheiten der anglophonen Regionen durch die Zentralregierung richteten, u.a. bei Sprache, Kultur und Rechtstradition.
Ein kleiner Teil der Protestbewegung fordert darüber hinaus eine staatliche Unabhängigkeit der beiden anglophonen Regionen. Daneben gibt es auch politische Gruppen, die einen kamerunischen Staat mit föderalen Strukturen fordern, wie er in der von 1961 bis 1972 geltenden Verfassung vorgesehen war. Eine klare Mehrheitsmeinung der Bevölkerung gibt es bisher nicht. Bemühungen der Regierung, im Rahmen einer verstärkten Dezentralisierung eine Lösung zu finden, sind bislang erfolglos geblieben.
Die zunehmende Eskalation des Konflikts stellt im Wahljahr 2018 in Kamerun die größte innenpolitische Herausforderung dar. Nach einem Bericht der kamerunischen Regierung vom 21. Juni 2018 wurden seit Beginn des Konflikts insgesamt 84 Angehörige der Sicherheitskräfte bei Anschlägen mutmaßlicher anglophoner Sezessionsaktivisten getötet. Mehrere hochrangige Regierungsvertreter wurden seit November 2017 in den beiden anglophonen Regionen mutmaßlich von Separatisten entführt.
Seit November 2017 geht die kamerunische Armee mit großer Härte gegen bewaffnete Gruppierungen im Grenzgebiet zu Nigeria vor. Aufgrund der restriktiven Informationspolitik der kamerunischen Regierung gibt es keine verlässlichen Zahlen zu Opfern unter der Zivilbevölkerung; Berichte über mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte geben gleichwohl Anlass zu großer Sorge. Nach Angaben des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) vom Mai 2018 wurden bisher 21.290 kamerunische Flüchtlinge, die ihr Land wegen der Lage in den anglophonen Regionen verlassen hatten, in Nigeria registriert. Der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen geht aktuell von insgesamt 160.000 Binnenvertriebenen in den anglophonen Regionen aus.
Der deutsche Botschafter in Jaunde hat am 04.07.2018 den stellvertretenden Außenminister Kameruns über die wachsende Sorge der Bundesregierung wegen mutmaßlicher Übergriffe von kamerunischen Sicherheitskräften informiert.
Dabei ging er insbesondere auf die Situation im Dorf Manyemen ein (in Manyemen befinden sich ein Krankenhaus und ein Waisenheim, die seit vielen Jahren mit deutscher und schweizerischer Unterstützung betrieben werden.
Laut Berichten eines Missionswerkes soll es dort am 23.05.2018 Übergriffe durch kamerunische Uniformierte gegeben haben. Dabei sei das Krankenhaus geplündert worden und daher nicht mehr funktionsfähig. Die Bevölkerung habe das Dorf verlassen; der Zugang zum Ort ist seitdem gesperrt).
Der Botschafter wiederholte mit Nachdruck die von der Europäischen Union mit Erklärung vom 19.06.2018 erhobene Forderung nach ungehindertem Zugang in den betroffenen Gebieten für internationale humanitäre Organisationen. Die sich häufenden Berichte über Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten müssten baldmöglich überprüft werden. Der stellvertretende Außenminister hat eine umgehende Überprüfung der Vorgänge in Manyemen zugesagt.
Die Bundesregierung hat mehrfach und regelmäßig die kritische Lage in den Regionen Südwest und Nordwest mit kamerunischen Regierungsvertretern angesprochen und auf die Einhaltung der Menschenrechte und rechtstaatlicher Standards gedrängt. Sie hat am 16. Mai 2018 die Lage in Kamerun im Rahmen des Universellen Staatenüberprüfungsverfahrens des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen in Genf thematisiert und die Einhaltung der Menschenrechte und rechtstaatlicher Standards angemahnt.
Eine nachhaltige politische Lösung des Konflikts ist nach Ansicht der Bundesregierung nur durch einen inklusiven Dialog von Regierungsvertretern mit gemäßigten Vertretern der anglophonen Kameruner möglich. Darüber hinaus ist es notwendig, dass die politische Teilhabe aller Regionen verbessert wird. In Gesprächen mit kamerunischen Regierungsvertretern werden rasche Fortschritte auf diesen Gebieten angemahnt.
Der persönliche Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Herr Günter Nooke, hat Mitte Februar 2018 Kamerun besucht. Herr Nooke sprach mit Präsident Biya und dem Gouverneur der Südwest-Region und verurteilte die von beiden Seiten ausgehende Gewalt, betonte die Verantwortung der Regierung Kameruns, mäßigend einzuwirken und unterstrich die Bedeutung von menschenrechtlichen Standards.
Alle Regierungsvertreter erläuterten ihre Sicht, wonach die zentralen ursprünglichen Forderungen aus den anglophonen Regionen weitestgehend erfüllt seien, die Regierung Kameruns nun aber mit noch weitergehenden Forderungen konfrontiert werde. Diese seien nicht akzeptabel, da sie auf die Aufhebung des Einheitsstaates zielten. Auch Föderalismus ginge aus Sicht der Regierungsvertreter zu weit.
Die kamerunische Regierung hat zum Jahreswechsel 2018 angekündigt, die verfassungsrechtlich vorgesehene Dezentralisierung voranzutreiben und dafür im März 2018 ein Ministerium für Dezentralisierung und lokale Entwicklung eingerichtet. Auf Geheiß von Staatspräsident Biya durch Premierminister Yang und den früheren Premierminister Musonge geführte Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der anglophonen Zivilgesellschaft konnten den Konflikt bislang nicht lösen. Staatspräsident Biya hatte den früheren Premierminister Musonge Anfang 2017 zum Vorsitzenden der neu geschaffenen „Kommission zur Förderung des Bilingualismus und der Multikulturalität“ ernannt.
Die Bundesregierung stimmt sich sowohl bei den politischen Analysen als auch vor bilateralen oder gemeinsamen Gesprächen mit kamerunischen Regierungsvertretern eng mit ihren europäischen Partnern ab, insbesondere mit Frankreich.
In einer Erklärung vom 19. Juni 2018 im Rahmen der Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen in Genf hat die EU die Eskalation der Gewalt in den anglophonen Regionen verurteilt und Präsident Biya aufgerufen, die Zivilbevölkerung zu schützen und jede Anstrengung zu unternehmen, um den Konflikt durch deeskalierende Maßnahmen und Gespräche zu lösen. Die EU fordert zudem ungehinderten Zugang für Menschenrechtsorganisationen in den umkämpften Gebieten sowie eine unabhängige Untersuchung der mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen.
Wie in anderen afrikanischen Konflikten auch, respektiert die Bundesregierung den Anspruch auf „African Ownership“ der Afrikanischen Union und der Regionalorganisationen. Die Bundesregierung steht daher mit der Afrikanischen Union bezüglich des baldmöglichen Beginns von Vermittlungsgesprächen der Regionalorganisation in Kamerun in Verbindung.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Grimm
Auswärtiges Amt
Länderreferent
Äquatorialguinea, Gabun, Kamerun, Kap Verde,
Rep. Kongo, Sao Tomé u. Princípe und Tschad
Tel. 030-18-17-3201